Undokumentierte, aber gelebte Prozesse des Projektmanagements: Blame Management
Viele, ja vielleicht unzählige Vorgehensweisen und best practice Ansätze können für den Umgang mit Projekten und für Projekte gefunden werden. Oft unterscheiden sie sich nur unwesentlich, was in der Natur der Dinge, oder besser gesagt, in der Natur des Projektmanagements liegt. Schliesslich herrscht ein gewisser Konsens über die wichtigsten Aspekte und Themen in diesem Umfeld. Lediglich in der Gewichtung der Themen und dann ggf. in den Details unterscheiden sich die verschiedenen Ansätze. Eines allerdings fällt auf: nicht alle in der Praxis gängigen wichtigen Vorgehensweisen finden Eingang in diese Beschreibungen. Und gerade diese praxiserprobten Ansätze machen oft den Unterschied zwischen persönlichem Erfolg und persönlichem Misserfolg aus. Diese Lücke gilt es zu schliessen.
Im Folgenden erfolgt die detaillierte und prozessorientierte Beschreibung eines der wichtigsten Aspekte erfolgreicher Projektarbeit: Der Prozess der Schuldzuweisung und -verwaltung (Blame Management).
Blame Management im Kontext der Gesellschaft
Dutzende von Artikeln, Büchern, Seminaren usw. prangern die Suche nach Schuldigen an, rufen nach einer «anderen Fehlerkultur», brandmarken Unternehmen als «rückständig» und propagieren stattdessen die Suche nach Konsens.
Heuchlerisch wie ich meine, denn Schuld und dessen Zuordnung spielt eine zentrale Rolle in allen Bereichen unseres Lebens. Unser gesamtes Rechtssystem beruht auf der Frage der Schuld und Schuldfähigkeit. Medien rufen nach Klärung der Schuldfrage im Dieselskandal. Was hat Winterkorn wann gewusst? Abiturienten werden in Prüfungen mit der Schuldfrage gepeinigt (Gretchen und Faust, Schuld und Sühne), die Philosophie plädiert für die Zuschreibung von Verantwortung und Schuld (Kompatibilisten, Schuld als sittliche Pflicht) und über Religion muss man in diesem Zusammenhang jetzt wirklich nicht noch viele Worte verlieren (Fegefeuer, Ablass, Reinkarnation, Trolle, Elfen und so weiter).
Überall, aber nicht in Unternehmen? Absurd.
Die Bedeutung des Blame Managements für das Unternehmen und dessen Projekte
Ich behaupte nicht, dass alle nach Konsens strebenden Ansätze Unfug sind. Aber: die Suche nach Schuldigen wird tabuisiert, deren Verfechter werden verächtlich gemacht und an den Pranger gestellt. Und all das nur, weil vieles schlicht nicht zu Ende gedacht wurde.
Nur die wenigsten haben sich je die Mühe gemacht, diese pauschalisierenden und tendenziösen Abhandlungen zu hinterfragen. Zu schnell stimmten wir zu (ja, auch ich), um nicht als rückständig und entmenscht stigmatisiert zu werden.
Doch überwindet man diese Hürde und setzt sich offener mit diesem Komplex auseinander, kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Kritiker sich nur mit der unprofessionellen, ja eher zufälligen, ungeplanten, aus der Situation geborenen Form der Schuldzuweisung beschäftigen und dabei die professionalisierte, durchdachte und in die Organisation integrierte Form durch ihre walldorfgetrübte Brille nicht erkennen.
Geben Sie mir die Chance aufzuzeigen, welch gestalterische Kraft in der konsequenten, prozessorientierten und integrierten Schuldzuweisung steckt und wie Ihre Vorhaben bei beständiger Anwendung an Effizienz gewinnen und Sie damit bares Geld sparen. Nun mögen meine Kritiker mich einen Menschenverächter nennen, dem nur die Gewinnmaximierung am Herzen liegt. Dies aber nur, weil sie noch nicht zu Ende gelesen haben und die äussert positiven Effekte auf das Miteinander in der Organisation ignorieren oder nicht wahrhaben wollen.
In den noch folgenden Beiträgen werde ich alle notwendigen Prozessschritte, Ein- und Ausgabewerte sowie Werkzeuge und Techniken des Blame Managements aufzeigen. Für eine erfolgreiche Anwendung bedarf es aber auch der Integration in das Unternehmen. Erst die Verzahnung mit den umgebenden Unternehmensprozessen (z.B. lernende Organisation, HR usw.) sichert den effizienten und effektiven Einsatz jenseits des von Unternehmensberatern geprägten Mainstreams.
Werden SIE zum Trendsetter und «early adopter». Sichern Sie sich Vorsprung vor Ihren Mitbewerbern und avancieren sie zum gefragten Keynote Speaker.
Dafür bedarf es zwingend des einheitlichen Verständnisses, worum es überhaupt geht.
Begriffsdefinition
Der englische Begriff «blame» (deutsch: Schuld) ist auch im deutschen Sprachraum seit geraumer Zeit sehr geläufig, dort allerdings vermehrt in seiner Verlaufsform «blaming», also beschuldigen, jemandem die Schuld an etwas geben. Im Unternehmensumfeld sollten wir m.E. die Definition so erweitern, dass sie besser zu den tatsächlichen Gepflogenheiten passt:
«Zuweisen von Verantwortung für negative Ereignisse oder Umstände auf die unterste noch plausible, aber politisch schutzloseste hierarchische Ebene.»
Zweck
Das Blamemanagement (BM) stellt sicher, dass für alles, was garstig daneben geht, schnell und erkennbar ein politisch akzeptabler Sündenbock gefunden und angemessen zur Rechenschaft gezogen wird.
Umfang und Inhalt
Auf keinen Fall sollte hier zu eng gedacht werden. Von sich abzulenken und dafür die Schuld anderen zuzuweisen gehört unbedingt dazu. Im BM geht es um folgende Verfehlungen, die zwingend auf Projektebene zu sanktionieren sind:
- Ungenauigkeit in der Vorhersage der Zukunft
- Übersehen von «unknown unknowns»
BM in agilen Projekten
Im Wesentlichen unterscheidet sich BM in agilen Projekten nur wenig. Nichts desto trotz existieren ein paar Besonderheiten. Durch die iterative Vorgehensweise lässt sich dieser Prozess häufiger durchlaufen. Dabei ist aber unbedingt auf selbstorganisiertes BM zu achten. Dabei sollten folgende Prinzipien beachtet werden:
- Linien- und Projektmanager sollten grundsätzlich und immer vor jeglicher Verantwortung für eigene Handlungen geschützt werden.
- Schuldzuweisung erfolgt- entsprechend der oben genannten Definition – immer auf der untersten noch plausiblen, aber politisch schutzlosesten hierarchischen Ebene.
BM planen
Wenn, wie in Teil 1 behauptet, BM längst schon gängige und erfolgreiche Praxis ist, wozu dann noch eine detaillierte Prozessbeschreibung? Wie bei allen anderen Projektprozessen auch, muss der Einzigartigkeit eines Projektes Rechnung getragen werden. Es bedarf also der projekt-spezifischen Planung des BM. Dabei gilt es, die Ziele und Massnahmen an den Projektspezifika auszurichten und zu dokumentieren. Es gilt also festzulegen, wie BM angegangen, geplant, ausgeführt und die Wirksamkeit überwacht werden soll. Dabei gilt es die folgenden vier zentralen Prozessgruppen zu durchlaufen:
- Vorbereitung und Identifikation
- Analyse durchführen
- Antwortstrategien entwickeln
- Wirksamkeit überwachen
Blame vorbereiten und identifizieren
Der Hauptnutzen dieses Prozesses ist, sicherzustellen, dass das Ausmass, die Art und die Präsenz des Blamemanagements der Bedeutung des Projekts angemessen ist.
Inputs | Tools & Techniken | Outputs |
Business Case | Expertenurteil | Blamemanagement-plan |
Verträge | Datensammlung | Blameregister |
Gerüchte | Meetings | |
Erfahrungen aus bereits abgeschlossenen Projekten | Blamestorming |
Blamepotentiale feststellen
Schuldzuweisungspotentiale feststellen ist der Teilprozess, indem potentielle und existierende Risiken, Probleme und Ereignisse identifiziert werden, die die Zuweisung von Schuld erfordern könnten. Darüber hinaus umfasst dieser Teilprozess auch die Identifikation potentieller Sündenbock-Kandidaten.
Der Hauptnutzen dieses Teilprozesses liegt in der Dokumentation der bestehenden einzelnen Risiken, Probleme und Ereignisse und der Einschätzung des Gesamtblamepotenzials. Er vereint ausserdem Informationen, so dass das Projektteam angemessen auf identifizierte Optionen reagieren kann. Dieser Teilprozess wird während des gesamten Projekts durchgeführt.
Blamekandidaten identifizieren
Während das klassische Risikomanagement vier Antwortstrategien kennt, beschränkt sich das Blamemanagement auf eine, den sogenannten Transfer (Übertragung).
Proaktives Blamemanagement wartet nicht auf das erstmalige, zufällige Eintreten eines blamefähigen Ereignisses, sondern versucht sie bei Bedarf herbeizuführen. Hierfür müssen zunächst geeignete Blamekandidaten identifiziert werden. Dabei gilt es folgendes zu beachten:
- Nur Kandidaten, die glaubhaft verantwortlich gemacht werden können und über zu wenig politischen Einfluss verfügen, um sich selbst zu schützen, eignen sich!
- Sollten zu wenig interne Kandidaten gefunden werden, konzentrieren Sie sich auf externe Mitarbeiter.
- Sollte auch das nicht möglich sein, bemühen Sie Faktoren wie die Vorsehung, das Schicksal, Kunden, die Regierung oder Ausserirdische.
In einer zweiten Runde gilt es diejenigen zu identifizieren, die NICHT als Kandidaten in Frage kommen. Verwechslungen können dramatische Folgen haben.
Dazu gehören meist:
- Entscheidungsträger bzgl. projektrelevanter Aspekte
- Einzelbürobesitzer, Eigentümer reservierter Parkplätze usw.
- Individuen mit guten Beziehungen zu oben genannten
Nachdem wir uns zunächst der Begriffsdefinition und dem Zweck des BM gewidmet haben, sind wir zur praktischen Anwendung übergegangen und ich hoffe Sie haben bereits parallel angefangen Blaming zu planen und potentielle Sündenböcke zu identifizieren.
Und, waren Sie erfolgreich oder brauchen Sie noch etwas Fertigkeit? Versuchen Sie doch mal die folgende Übung:
Überlegen Sie sich zunächst, wer als Sündenbock in Frage kommt (also ganz sicher nicht der Autor) und schreiben Sie dann 5 Ereignisse auf, die in Ihrem Projekt schiefgehen können und zu jedem dieser 5 Ereignisse identifizieren Sie 3 potentielle Sündenböcke. Das Ganze sollte nicht länger als einige Minuten dauern.
Damit wären wir bereit für den nächsten Schritt.
Zur Erinnerung:
Professionelles Blame Management erfolgt anhand von vier zentralen Prozessgruppen.
- Vorbereitung und Identifikation √
- Analyse durchführen
- Antwortstrategien entwickeln
- Wirksamkeit überwachen
Widmen wir uns also jetzt der Analyse.
Blameanalyse durchführen
Der Hauptnutzen dieses Prozesses ist, sicherzustellen, dass die vielversprechendsten der identifizierten Ereignisse und Sündenböcke angegangen werden.
Inputs | Tools & Techniken | Outputs |
Blamemanagementplan | Expertenurteil | Priorisiertes Blameregister |
Blameregister | Priorisierung |
Auch hier wieder zur Unterstützung eine kleine Übung:
Bei dieser Übung müssen Sie sich vorab keinen Sündenbock überlegen, wir nutzen einfach den von der vorherigen Übung.
Priorisieren Sie die 5 Ereignisse anhand des zu erwartenden Schadens. Priorisieren Sie dann die zugehörigen Sündenböcke nach maximal möglichem Schuldzuweisungspotential. Voilà!
Antwortstrategien entwickeln
Der Hauptnutzen dieses Prozesses ist, dass eine stufengerechte Antwortstrategie gefunden wird. Schliesslich soll es nicht nur effektiv, sondern auch effizient sein.
Inputs | Tools & Techniken | Outputs |
Blamemanagementplan | Expertenurteil | Aktualisiertes Blameregister |
Priorisiertes Blameregister | Datenanalyse | |
Sozialkompetenz | ||
Eventualstrategien | ||
Auslöserlisten |
Nicht jedes Versagen ist so schwerwiegend, dass die volle Breitseite an Schuldzuweisung notwendig wird. Häufig genügt schon, dass:
- Öffentlichkeit gewährleistet ist
- sich einflussreiche Stakeholder angegriffen fühlen, die die Schuldzuweisung dann stellvertretend übernehmen
- die eigentlichen Schuldigen selbst Alternativschuldige finden.
Blamezuweisung durchführen
Der Hauptnutzen dieses Prozesses ist, die unzureichenden oder fehlenden Ergebnisse plausiblen und politisch akzeptablen Individuen und/oder Gruppen zuzuweisen.
Inputs | Tools & Techniken | Outputs |
Blamemanage- mentplan |
Kommunikations- technologie |
Aktualisierung des Stakeholder management plans |
Priorisiertes Blameregister |
Kommunikations- methoden |
Aktualisierungen des Prozessvermögens der Organisation |
Kommunikations- managementplan |
Projektmanage- mentinformations- system |
Aktualisierung des Blamemanagement- plans |
Stakeholder- managementplan |
Datendarstellung | |
Sozialkompetenz und teambezogene Fähigkeiten |
||
Präsentationstechnik | ||
Meetings |
Bei der Blamezuweisung werden sowohl die Zuweisung an sich als auch Zielpersonen und/oder Gruppen an ausgewählte Stakeholder und Interessengruppen kommuniziert. Die ausgeheckte Hintergrundgeschichte muss dabei plausibel sein und am besten auch noch Vorurteile bedienen, ist aber weniger effektiv, falls nicht angemessen verbreitet. Als nützliche Zielgruppen haben sich erfahrungsbasiert erwiesen:
- Alle Personen oder Gruppen, die selbst nicht als Sündenböcke in Frage kommen
- Jeder der, direkt oder indirekt, über den Misserfolg Bescheid weiss
- Alle für das Blaming in Frage kommenden Sündenböcke
Bedenken Sie dabei aber auch, dass unterstützende «Beweise» vorliegen müssen. Besonders gut eignen sich grafische und tabellarische Übersichten, da diese Seriosität vorspiegeln. Auch «verlorene» oder «unauffindbare» Dokumente haben sich in Praxis als zuverlässig gezeigt, insbesondere dann, wenn die verbleibende Dokumentation Anspielungen oder versteckte Hinweise darauf enthält.
Konsequenzen kommunizieren
Der Hauptnutzen dieses Prozesses ist, die organisatorische Akzeptanz der Schuldzuweisung zu verfestigen.
Inputs | Tools & Techniken | Outputs |
Aktualisierter Blamemanagement- plan |
Sozialkompetenz und teambezogene Fähigkeiten |
Aktualisierter Stakeholder- management- plan |
Emotionale Intelligenz |
||
Präsentationstechnik |
Erfolgreiches Blamemanagement erfordert das Wissen um tatsächliche und potentielle Konsequenzen. Die Zuweisung von Schuld ist dann am wirkungsvollsten, wenn Dritte davon Wind bekommen bzw. öffentlich «hingerichtet» werden (vgl. hierzu Victor Harold Vroom und auch überlieferte Erfahrungen aus der katholischen Kirche hinsichtlich Hexenverbrennung).
Darüber hinaus gilt es, das richtige Mass an Konsequenzen zu finden. Oft schon verpuffte die Wirkung, ja schlug sogar in Mitgefühl um, wurden Sündenböcke aus Sicht Dritter zu hart bestraft. Auch stehen Sie dann zu schnell nicht für weitere Zuweisungen zur Verfügung. Daher kann es durchaus nützlich sein, prophylaktisch nach Ersatz Ausschau zu halten. Andererseits kann eine zu geringe Bestrafung dazu führen, dass die Konsequenzen nicht ernst genug genommen werden und „verpuffen“.
Verstärkt werden kann der Effekt, wenn die tatsächlich schuldigen, aber politisch unangreifbaren Personen und Gruppen parallel dazu belohnt werden. Und das Ganze hat noch einen positiven Nebeneffekt: Personen und Gruppen, welche sich auf die Seite der Sündenböcke stellen, sind interessante Ersatzkandidaten.
Blame allokieren, überwachen und steuern
Der Hauptnutzen dieses Prozesses ist, existierendes und potentielles Schuldzuweisungspotential zu erkennen, dessen Wirkung zu überwachen und ggf. auf Veränderungen zu reagieren.
Inputs | Tools & Techniken | Outputs |
Aktualisierter Blamemanagement- plan |
Organisations- theorie |
Aktualisierung des Stakeholder- managementplans |
Aktualisierter Stakeholder- managementplan |
Entscheidungs- findung |
Arbeitsleistungs- informationen |
Vorabzuweisung | Teamleistungs- beurteilung |
|
Sozialkompetenz und teambezogene Fähigkeiten |
Aktualisierung des Projektmanage- mentplans |
|
Bewertung auf individueller und auf Teamebene |
||
Projektmanage- ment- informations- system |
Von grosser Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Anzahl der Sündenböcke. Die Anzahl und die Qualität muss in Einklang mit der Bedeutung des Versagens gebracht werden. Manchmal genügt es schon, eine einzelne hilflose Person zu beschuldigen, aber im Falle bedeutsamerer Probleme können auch kleinere Gruppen oder ganze Teams herhalten. Besonders prädestiniert sind Lieferanten, politische Gruppierungen, Interessenverbände und die Vorsehung.
Dazu werden die im Blameregister als Sündenbocke identifizierten Personen / Gruppen gemäss Blamemanagementplan beschuldigt und eine beweisgebende und überzeugende Hintergrundgeschichte mitgeliefert, die selbst den sprichwörtlich ungläubigen Thomas nicht zweifeln lässt.
Begleitmassnahme «Schulung»
Schulungen können helfen, die theoretischen Grundlagen und den Prozess der Schuldzuweisung, quasi als Basislegung, zu unterstützen. Dabei ist zwingend zu beachten wer und auch wie geschult wird.
Potentielle Sündenböcke sind natürlich von diesen Schulungen zwingend fernzuhalten. Wer will denn schon die Schlachtbank gerade den Lämmern zeigen?
Derzeit wird in Fachkreisen aber auch eine spannende Alternative diskutiert, die genau umgekehrt funktioniert: Opferschulungen!
Selbstredend geht es dabei nicht um die Vermittlung von Abwehrstrategien und dergleichen, sondern um die Akzeptanz, das Lamm und nicht Ostern zu sein. Oder, um es mit Heidegger zu sagen: «Schuld ist ein wesentlicher Teil des Daseins». Akzeptiere, dass Du schuldig bist und das ist auch gut so. Desweiteren werden drollige Abwehrstrategien thematisiert, die natürlich nicht als solche erkennbar sein sollen. Dazu gehört die klassische Rücktrittsbegründung des «Schutzes der Organisationsreputation», die gerne von CEOs (Raiffeisen Schweiz, Schweizer Post, Aargauische Kantonalbank usw.) und Verbandspräsidenten (DFB seit 20 Jahren) genutzt wird.
Wenden wir uns nach diesem kleinen Exkurs wieder der zentralen Frage zu, wie Schuldzuweisung sinnvoll geschult werden kann. Inhalte zur Theorie müssen in konkrete Beispiele übersetzt werden. Dafür eignen sich Beispiele aus der Praxis ganz besonders. Beginnen Sie mit Beispielen, die den meisten Teilnehmern bekannt sein dürften oder sehr anschaulich sind. Damit animieren sie die Teilnehmer dazu, mit eigenen Beispielen beizutragen, die dann wieder in der Gruppe besprochen werden können. Hier ein paar Beispiel für solche «eisbrechenden» Fälle inklusive Quellen für Begleitmaterial:
- Dilbert Comics
- Der Fall Barschel (Archiv des Magazin Stern)
- Mutti (Die FDP zu den Jamaika-Verhandlungen)
- Migranten und Asylsuchende (Pressemitteilungen, Redebeiträge, Interviews etc. von AfD-Repräsentanten)
- Die EU und der EURO (siehe 4.)
- Die Presse (siehe 4.)
- Die Altparteien (siehe 4.)
- Vergessen/Ignorieren von Schuld (Faust)
- Aufrechnen von Schuld («Auch wir haben gelitten»)
Begleitmassnahme « Simulation »
Sind Schulungen ein adäquates Mittel, um komplexe Sachverhalte anschaulicher zu machen und Problembewusstsein zu wecken, so ist die Simulation das beste Mittel, um konkrete Situationen tatsächlich üben zu können. Mittels Rollenspiel wird der Erwerb von Schuldzuweisungskompetenzen unterstützt. Massgeschneiderte Komplexität und rollenspezifische Entscheidungs- und Handlungsspielräume ermöglichen den Umgang mit authentischen realistischen Situationen – als Lamm und als Ostern («Perspektivwechsel»).
Ganz besonders geeignet sind Simulationen für das Einüben von Schuldablenkungsstrategien. Dazu gehören:
- Plausibles Abstreiten
- Unterstützende Körpersprache (wissendes Kopfschütteln, zum Spitzdach geformte Hände, provozierendes mit den Fingern trommeln usw.)
- Unauffälliges Weitergeben von vertraulichem, belastendem Material (z.B. Verbreiten von Gerüchten durch Dritte)
- Empfänglichkeit für Falschinformationen erhöhen (siehe oben unter 4.)
- Zwischen den Zeilen «hören»
Besonderheiten in Scrum
Mit teamorientierten Vorgehensmodellen und Produktentwicklungsmethoden scheint die Schuldzuweisung komplizierter. Organisatorisch wird der Standardsündenbock «Projektleitung» durch «das Team» ersetzt, was das Auffinden und dezidieren von Lämmern schwieriger erscheinen lässt.
Der aufmerksame Leser wird aber meinen Formulierungen schon entnommen haben, dass es keinen Grund für Besorgnis gibt.
Auch Scrum kennt natürlich Rollen! «Product Owner» und/oder «Scrum Master» sind hervorragende Kandidaten und auch innerhalb des Teams wird es üblicherweise irgendein Lamm geben. Zur Not kann es dann auch mal die «Programmleitung» sein.
Und, last but not least, AGIL selbst ist ein wunderbarer Kandidat. Wer möchte sich denn als Gegner von «Agilität» outen?
Rückblick und Ausblick
Schuldzuweisung ist kein Akt, Schuldzuweisung ist ein Prozess!
Sollte es mir gelungen sein, genau dies zu verdeutlichen, so ist zumindest meinem Anspruch an diesen Artikel genüge getan.
Allerdings wäre meine Hoffnung, von Ihnen liebe Leser, viele Beispiele für gelungenes und weniger gelungenes Vorgehen zu erhalten – mit dem Ziel, Sie auch zukünftig mit «best practice» Beispielen versorgen zu können, damit dieses oft so stiefmütterlich behandeltes Thema weiter an Bedeutung gewinnt. Und wir sollten nie nachlassen, bis auch das PMBOK® diesen zentralen Prozess in Form von Kapitel 14 würdigt.
Erlauben Sie mir noch eine letzte Bemerkung in eigener Sache:
Sollten Sie erwägen, mich als potentiellen Kandidaten für Schuldzuweisung küren zu wollen, so kann ich Ihnen versichern, dass dies keinen Erfolg haben wird.
Denn ich habe den ultimativen Sündenbock schon längst verpflichtet: die Vorsehung.
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- Zeig mal: Petra Bork/pixelio.de