...am Ende die Phrase (Stanislav Jerzy Lec)
Habe ich noch vor kurzem behauptet, dass ‘Resilienz’ zum neuen Tausendsassa und damit in den Olymp-Wortschatz jedes Projektmanagementkundigen aufgestiegen ist, so muss ich mich korrigieren.
Vor kurzem war ich eingeladen, auf dem World Project Management Forum in Indien zu sprechen. Virtuell natürlich. Und da es unhöflich ist, nur zu sprechen und nicht auch anderen Sprechern zu lauschen, habe ich pflichtgemäss einigen Vorträgen beigewohnt. (Zugegebenermassen nicht allen, wegen der Zeitdifferenz, die mich gezwungen hätte, um 5 Uhr in der Früh schon vor dem PC zu sitzen.) Ausserdem kommt es bei den Zuhörern oberaffengeil an, wenn man auf vorherige Beiträge Bezug nehmen kann, denn das vermittelt jede Menge Kompetenz und zeigt, dass man der famosen Gemeinschaft der Sprechergilde angehört.
Nicht, dass dort jede Menge Zinnober verbreitet wurde, aber die Zunft der Vortragenden hatte doch interessanterweise nicht mit ‘Resilienz’ kokettiert. Genaugenommen mit einer Abkürzung, oder passt Kunstwort besser? Bevor ich das Rätsel auflöse, muss ich konzedieren, dass auch ich zu diesen formidablen Exponenten gehöre, die nicht nur einen, sondern sogar beide Begriffe in Kombination in ihrem Elaborat beanspruchen. Zu meiner Ehrenrettung sei aber aufgezeigt, dass mein Sinnen sich dabei auf die Desavouierung der exorbitanten Nutzung richtete, indem ich die Termini in den Kontext eines gemetzten Grossvogels setzte, den insbesondere die Amerikaner gerne zum Erntedankfest futtern. Der in Übereinstimmung befindliche Artikel erschien bereits vor einigen Wochen im Harlekin.
VUCA. Das steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit. Meinem Empfinden nach das meistgehörte Wort auf dieser Konferenz. Eigentlich eine exquisite Beschreibung unserer Mitwelt, die aufzeigt, dass Umdenken und angepasste Vorgehensweisen im Projektmanagement ratsam sind. Aber wie schnell verlieren Begriffe ihre Kraft, wenn sie den Nimbus des schicken Schlagworts erreichen, wo allein die blosse Nennung dazu führt, dass das Interesse verloren geht. Könnte man es nicht auch anders ausdrücken? Zum Beispiel mit ‘eine imponderable Welt, die fürwahr Tohuwabohu und Unbill birgt und jeden Backfisch blümerant werden lässt’? Das hätte immerhin kolossalen Unterhaltungswert und würde als Alleinstellungsmerkmal geraten. Überdies beschirmt solch Formulierung obendrein vor unerspriesslicher Ablenkung. Wie einst auf dem Lyzeum, wo sich alle Konzentration auf die Zählung der sprachlichen Eigenarten des Paukers bündelte, leiden Aussage und Deutung unter dieser rhetorischen Dysfunktionalität .
Mein Wort des Jahres ist wiederum ein völlig anderes. Anhand meines Bewertungsmodells (sinnwidriger Einsatz multipliziert mit gefühlt monumentaler Einsatzhäufigkeit) blitzt ein Adjektiv auf, welches namentlich in Kreisen des Bildungsbürgertums und journalistischer Tätigkeit Wirkung zeigt: UNFASSBAR. Nahezu alles ist nun unversehens unfassbar, was gerade noch beispiellos, aufsehenerregend, rätselhaft, immens, spektakulär oder unergründbar war. Auf Platz zwei meiner Liste landet übrigens ‘verstörend’.
Sozusagen als Antinomie beansprucht diese Spottschrift völlig aus der Mode gekommene Begriffe, von denen ein Achtung gebietender, geradezu unfassbarer Batzen auf einer verstörend langen Liste obsoleter Ausdrücke unserer Kolombine Heike gründet, die dafür verdankt sei.
Genau diese offenbarte mir folgendes Diktum, frei nach Papst Gregor, dem Großen: «Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.»
Nun ersuche ich die verehrte Leserschaft sich, in diesem Geiste, nicht mehr der Information und der Aussage hinzugeben, sondern, der inhaltsanalytischen Methodik folgend, dem überbordenden Gebrauch von Begriffen Aufmerksamkeit zu schenken. Unzweifelhaft sind unsere aufgeweckten und weltoffenen Bibliomanen schon längst weiterer plakativer Termini und Wendungen gewahr geworden, die in verschwenderischem Masse Niessbrauch erfahren.
Kehret ein, erkundet, sammelt und schenkt uns Eure Reihung. Öffnet Euer Schatzkästchen an beklagenswerter Terminologie und vermerkt diese im Kommentarfeld, so dass ein erkleckliches Quantum zusammenkäme.
Zum Schluss noch ein Segenswunsch in eigener Sache, die ebenfalls in die Kategorie ‘lenkt vom Eigentlichen ab’ fällt, in der Hoffnung, dass sich auch Schlüsselfiguren des Deutschlandfunks unserer Knüllerkolumne bedienen. Möglicherweise haben einige Eurer Mitarbeiter dieselbe Ausbildung durchlaufen, oder es ist nur eine Marotte, aber die Schar derer, die das aus dem französischen stammende Wort ‘Journalist’ ([ʒʊrnaˈlɪst]) wie ‘Djournalist’ ([dʒʊrnaˈlɪst]) aussprechen, wächst Epoche machend. Sagt ihr denn auch ‘Djour fix’, ‘Kilodjule’ und ‘Djargon’? Dann wäre konsequenterweise auch ‘Dgelee’ notwendig. Gerne würde ich mich wieder mehr den Inhalten widmen, aber als Kaninchen vor der ‘Djournalisten’-Schlange, gelingt mir das einfach nicht.